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Ich hätte nicht gedacht, dass ich es noch rechtzeitig schaffe. Alle anderen Fahrgäste waren schon ausgestiegen. Ein dummer Gedanke hatte mich verunsichert. Ich konnte den Gedanken nicht loswerden, dass ich etwas Wichtiges vergessen hatte. Also war ich nochmals zurückgelaufen. Doch in meiner Sitzreihe lag nichts. Alles leer, auch unter dem Sitz. Dennoch blieb dieses ungute Gefühl in mir, während ich wieder Richtung Ausgang hechtete und gerade noch so durch die sich schließenden Türen aus dem Zug springen konnte. Die Motoren des Kolloses heulten auf und der Zug ratterte davon. Das war wirklich knapp gewesen. Auch wenn meine Freunde nicht auf mich gewartet hatten und ich den Nachhauseweg nun alleine antreten musste, war ich froh, nicht noch bis zur nächsten Haltestation unfreiwilliger Passagier in diesem Linienzug zu sein. Der nächste Halt wäre erst zehn Minuten und 12 km später gewesen.

Also machte ich mich auf den Heimweg, die letzte Etappe zu Fuß. Zehn Minuten, die mit der richtigen Gesellschaft oft viel zu schnell vergingen. Doch alleine manchmal unendlich schienen. Der Weg war eigentlich leicht zu gehen. Keine Berge, die es zu erklimmen galt. Es war ein überschaubarer Weg. Eis, zwei lange Geraden und ein paar kleine Kurven dazwischen. Ein wenig Bergab und noch mal ein langes Stück geradeaus. Das konnte doch nicht so schwer sein. Doch heute war irgendetwas anders. Es lag etwas in der Luft, etwas Ungutes. Heute war die Atmosphäre geladen, fühlte sich soviel schwerer an als sonst. Hatte diese Ladung zu meinem unguten Gefühl beigetragen? Halte ich mir deswegen eingebildet, ich hätte etwas im Zug vergessen? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass jemand aus der Clique etwas im Zug liegen gelassen hätte. Schon öfter war so etwas vorgekommen. Und zu unserem Leidwesen waren die verlorenen Gegenstände nicht wieder aufgetaucht. So konnten sich andere Passagiere über ihr neues Hab und Gut freuen, sofern sie gerade Mäppchen, Regenschirme oder Zeichenblöcke gebrauchen konnten. Doch wir stammten alle aus guten Elternhäusern und die Sachen wurden schnell ersetzt. Man sagte Bitte, Danke und versprach ab sofort besser Acht zu geben. Und meistens funktioniert es dann auch. Ein letzter Blick zurück über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass nichts liegen geblieben war. Auch heute hatte ich diesen prüfenden Blick nicht vergessen. Und trotzdem hatte mein Bauchgefühl mir etwas anderes gesagt. Ich war schon an der Tür gewesen, als ich meinen Freunden zurief, sie sollten nicht auf mich warten und wie vom Teufel gehetzt zu meinem Sitzplatz rannte. Fragende Gesichter, die einem Schulterzucken und Kopfschütteln Platz machten. Ein bisschen verrückt war ich schon immer gewesen. Anders kannten mich meine Freunde gar nicht. Plötzlicher Sinneswandel, spontane Einfälle und Stimmungsschwankungen gehörten bei mir zur Tagesordnung. Doch es wären keine Freunde, wenn sie mich nicht genau so lieben würden, wie ich war. Mit all meinen Stärken und Schwächen. Doch würde ich mein Bauchgefühl nicht zu meinen Schwächen zählen. Schon vor längerer Zeit hatte ich gelernt meinem Bauchgefühl zu vertrauen. Wenn mein Bauch sagte, da stimmt was nicht, dann war auch meist etwas nicht in Ordnung gewesen. Ich war mir wirklich sicher, dass ich etwas im Zug vergessen hatte. Umso überraschter war ich dann, als ich den Sitz leer vorgefunden hatte. Noch nie hatte sich mein Bauch geirrt, bisher konnte ich immer blind darauf vertrauen.

Doch heute war irgendetwas anders. Ich konnte es ganz deutlich spüren. Die Luft war anders, wirkte befremdlich. Es fühlte sich an, als sei die Luft tot. Ich hörte keine Vögel und sah keine Insekten umherschwirren. Auch wenn sich trotz der großen Hitze einige Lebewesen nachmittags verkrochen, so ganz ausgestorben sollte es nicht sein. Mein beklemmendes Gefühl hielt weiter an. Die Unsicherheit und Angst wuchsen mit jedem Schritt. Noch um die nächste Kurve und ich hoffte, meine Freunde in der Ferne sehen zu können. Vielleicht würden sie warten und mit ihrem Gelächter meine Panik vertreiben. Ich zählte die Schritte, ein Drittel des Weges hatte ich bereits hinter mir. Mein Herz schlug schneller, pumpte das Blut in rasendem Tempo durch meinen Körper. Ich bog um die nächste Ecke, doch ich sah niemanden. Kein blonder oder brünetter Schopf in der Ferne, kein brauner Pferdeschwanz, der mit jedem Schritt wippte. Wo waren meine Freunde denn abgeblieben? Hatte ich mich doch länger mit dem Zug aufgehalten als gedacht? Oder waren sie noch in den nahe gelegenen Supermarkt in der anderen Richtung gegangen? Wieso hatte ich sie gerade heute verloren? An diesem so merkwürdigen Tag. Gerade heute sehnte ich mich so sehr nach ihrem Lachen, den Witzen und schwachsinnigen Unterhaltungen. Aber gerade heute war ich alleine. Wieder musste ich mir einreden, dass doch nichts Schlimmes dabei war. Nicht zum ersten Mal lief ich diesen Weg alleine und ich war doch schon fast zu Hause. Nur noch ca. 6 Minuten. Doch irgendwie war es heute so anders und ich konnte mich einfach nicht beruhigen. Wieder schwappte die Panik über mich herein. Ich blieb stehen, blickte kurz zurück. Immer noch hoffte ich meine Freunde irgendwo zu sehen oder zu hören. Doch sie waren nicht da. Niemand war auf der Straße unterwegs. In dieser gleißenden Sommerhitze war dies aber auch nicht weiter wunderlich. Und trotzdem spürte ich wieder ganz deutlich, dass irgendetwas nicht stimmte. Widerwillig setzten sich meine Füße wieder in Bewegung. Plötzlich wuchs der Drang in mir, nach Hause zu kommen. Ich hoffte, meine Mutter sei dort. Oft konnte man sie zu Hause leider nicht antreffen. Ihre Arbeit forderte viel von ihr ab, aber dies war der Preis, den eine allein erziehende Mutter zahlen musste. Wollte sie über die Runden kommen, musste die Aufmerksamkeit und gemeinsame Zeit mit der Familie darunter leiden. Leider gibt es im Leben nichts geschenkt. Mit ein bisschen Glück wäre sie heute Nachmittag zu Hause. Dann könnte sie mich einfach in den Arm nehmen, fest drücken und mir versichern, dass alles in Ordnung sei. Die Gedanken an meine Mutter ließen mich weiter vorwärts streben. Ich fühlte neue Hoffnung in mir aufkeimen. Alles wird gut! Alles war in Ordnung!

Doch dann sah ich es. Ein greller Lichtblitz am blauen Mittagshimmel. Ein gelbes Licht zuckte über den Horizont und türmte sich in der Ferne auf. Im Fernsehen hatte ich so etwas schon öfter mal gesehen. Doch es waren nie freudige Momente gewesen, wenn ein rot-orangener Pilz am Himmel erschienen war. Ich war bei dieser Erscheinung wie gelähmt. Ich konnte keinen Fuß mehr vor der anderen setzen. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was sollte ich jetzt machen? Wie viel Zeit würde mir noch bleiben? Konnte ich es noch bis nach Hause schaffen? Oder musste ich mir hier einen Unterschlupf suchen? Was würde als nächstes passieren? Was sollte da noch auf uns zukommen? So viele Fragen brachen über mir herein, als mein Blick wieder zum Himmel gelenkt wurde und ich in der Ferne ein weiteres Aufblitzen sah. Nur Sekunden nach dem ersten Atompilz war ein zweiter am Himmel erschienen. Die Panik schnürte mir die Kehle zu, ich vergaß zu atmen. Für einen Augenblick wurde mir schwindelig und ich war kurz davor mich dieser Ohnmacht hinzugeben. Doch dann saugte ich wieder Luft in meine Lungen. Ich war schon immer eine Kämpfernatur gewesen und mein Überlebenswille erwachte gerade von neuem in mir. Ich wusste weder wie lange es dauern würde bis ich hier die ersten Auswirkungen zu spüren bekommen würden noch wie viel Zeit mir letztendlich blieb. Was wären überhaupt die Auswirkungen? Ich wusste, im nächsten Umkreis war man ziemlich sicher. Darüber hinaus würde man einfach innerhalb weniger Sekunden sterben. Doch in welchem Umkreis war ich? Würde ich gleich sterben oder durch die Auswirkungen der Strahlung schleichend vergehen? Würde die Sonne durch eine Staubwolke verdunkelt werden oder saurer Regen folgen? Ich hatte wirklich keine Ahnung, was als nächstes folgen würde oder in welcher Reihenfolge es geschehen würde. Aber jetzt musste ich mich entscheiden, was ich tun sollte.

Wo waren eigentlich meine Freunde abgeblieben? Sie mussten doch auch noch irgendwo in der Nähe sein. Sollte ich versuchen sie zu finden? Wäre ich in einer Gruppe besser aufgehoben? Oder sollte ich schnell nach Hause laufen, in der Hoffnung meine Mutter anzutreffen und als Familie zusammen das Kommende zu überstehen? Oder doch lieber gleich hier in Deckung gehen und Schutz suchen. Alleine mein Glück versuchen und hoffentlich ohne Anhängsel meine Überlebenschancen zu vergrößern.

- Wie würdest Du Dich entscheiden?

© 2015 by Merci

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