Horror-Movies Bloody Seasons Creepy Tales Something in Between Lost in Space

 

 
         

 

 

 

Es klopfte an der Tür. Jemand pochte mit Gewalt gegen das Holz. Wer konnte das sein, zu so später Stunde? Es war schon nach Mitternacht! Ich schlich im Dunkeln zum Fenster. Mit zittriger Hand schob ich den Vorhang ein Stück zur Seite. Da stand er: Victor! Doch wie konnte das sein? Er war doch tot! Wir hatten ihr erst vor zwei Wochen beerdigt, oder waren es doch schon drei? Seit seinem Tod hatte die Zeit für mich keinen Wert mehr. Tage schlichen dahin, Stunden krochen vorbei. Und plötzlich stand er wieder vor unserer Tür! Was hatte das zu bedeuten? War er gar nicht wirklich tot gewesen, als wir ihn zu Grabe getragen hatten? Hatten die Ärzte sich so sehr geirrt, als sie mir von seinem Tod berichtet hatten?

Im Schein des Mondlichts konnte ich erkennen, dass seine Kleidung richtig verschmutzt war. Hatte er sich etwa aus seinem Grabe gewühlt? Ich blickte die Straße hinunter. Liefen dort noch andere merkwürdige Gestalten umher? War heute nicht Halloween? Aber konnten das wirklich Kinder sein? Nein, ganz sicher nicht! Egal wie vernebelt mein Kopf sich auch anfühlte, ich würde Kinder von diesen merkwürdigen Wesen unterscheiden können!

Victor warf sich erneut gegen die Tür. Dieses Mal mit seinem ganzen Gewicht. Obwohl die Haustür massiv und sehr stabil war, konnte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Tür den vehementen Angriffen meines verstorbenen Ehemanns nachgeben würde. Was sollte ich tun? Konnte ich denn überhaupt etwas dagegen unternehmen? Schnell lief ich die Treppe nach oben. Im Schlafzimmer bewahrte ich meine Waffe auf. Es war ein kleiner Lady-Revolver, wie der Verkäufer ihn mir mit einem Augenzwinkern angepriesen hatte. Nach Victors Tod hatte ich nicht lange gezögert und versucht, so die Sicherheit in meinen vier Wänden zu erhöhen. Victor hatte sich immer gegen Waffen ausgesprochen. Obwohl wir keine Kinder hatten, wollte er keinen todbringenden Gegenstand im Haus haben. Meine Einwände, dass es nicht die Waffen waren, die Menschen töteten und wir weiß Gott noch viel gefährlichere Gegenstände im Haus hatten, konnten ihn leider auch nicht überzeugen. Lieber hätte er sich einen Hund angeschafft, aber dazu konnte Victor dann mich nicht überzeugen. Und so hatten wir während unserer Ehe weder eine Waffe noch einen Hund im Haus. Dankbar, dass ich mittlerweile einen Lady-Revolver besaß, schnappte ich mir die Waffe und machte sie scharf. Die Munition steckte ich in meine Tasche. Auch wenn es nur ein kleiner Revolver war, gab er mir das Gefühl, nicht ganz wehrlos zu sein. Was auch immer heute Nacht noch geschehen sollte.

Als ich hörte, wie unten das Holz der Haustür barste, schob ich das Fenster nach oben und kletterte hinaus aufs Dach. Würde Victor mich erst im unteren Stock suchen oder gleich die Treppe heraufkommen? Ich wollte keine Zeit verlieren, um es herauszufinden. Wusste er, ob ich überhaupt zu Hause war? Leise schob ich das Fenster wieder herunter. Ich hoffte, er würde mich nicht hier draußen vermuten. Es war schon November und der Wind war eisig kalt. Ich hatte mir nur eine dünne Strickweste übergeworfen und eilig meine Turnschuhe angezogen, die neben dem Bett gestanden hatten. Zum Glück war ich auch noch so geistesgegenwärtig gewesen, meine Jeans und das Sweatshirt vom Vortag anzuziehen. In Schlafanzug zu fliehen, wäre ziemlich dumm gewesen. Auch die Taschenlampe aus der Nachttischschublade mitzunehmen, könnte sich noch als hilfreich erweisen. Erst letzte Woche hatte ich die Batterien durch neue ersetzt. Notfallgegenstände sollten immer einsatzfähig sein. Das hatte mich mein Mann zu seinen Lebzeiten gelehrt. Ich kletterte vorsichtig bis zur Dachkante und spähte hinab. Es war doch ganz schön hoch. Konnte ich unbemerkt vom Dach klettern? Vielleicht an der Regenrinne hinab? Oder würde ich mitsamt diesem hinunterstürzen? Und wohin sollte ich fliehen? Ich sah hinüber auf die andere Straßenseite. Brannte dort auch noch Licht? Ein gedämpfter Schein schimmerte durch die Ritzen eines Rollladens. Oder spielten mir meine Augen einen Streich? Ich würde es wohl herausfinden müssen. Bisher hatte ich noch keine Freundschaft mit dieser Nachbarin von gegenüber schließen können. Sie hatte schon immer einen merkwürdigen Eindruck auf mich gemacht. Aber wenn jemand aus der Nachbarschaft zu dieser späten Stunde noch wach sein sollte, dann ganz bestimmt sie.

Irgendwie schaffte ich es vom Dach hinunter, ohne mir Hals und Beine zu brechen. Mit einem leisen Satz landete ich im Gras. Ich sprintete über die Straße und hoffte, dass mich niemand gesehen hatte. Das Haus gegenüber wirkte schon etwas unheimlich auf mich, wie es so fast einsam am Waldrand lag. Es gab keine Häuser, die direkt daneben standen, wie es auf unserer Straßenseite der Fall war. Dieses Haus wachte ganz alleine. Es war etwas weiter nach hinten versetzt und wurde von einem mittelhohen Granitzaun umgeben. Glücklicherweise stand das große Tor offen, auch wenn es die Situation noch gruseliger machte. Wer ließ denn an Halloween das Tor offen stehen? War das nicht eine unausgesprochene Einladung? Ja, diese Nachbarin war wirklich etwas sonderbar. Soweit ich mich erinnern konnte, lebte die Frau alleine in diesem Haus. Es war schon ewig her, dass ich ihren Mann zuletzt gesehen hatte. Wenn ich mich richtig erinnern konnte, war sein Name Jeremy. Obwohl er sich Victor und mir gegenüber immer höflich verhalten hatte, mochte ich diesen Mann nicht. Er gehörte eher zu der Sorte Männer, vor denen Mütter ihre Töchter warnten. Ich konnte nie genau sagen, was mich an ihm störte, aber ich war irgendwie erleichtert, als er plötzlich nicht mehr in der Nachbarschaft anzutreffen war. Oft hatte ich das ungute Gefühl, dass er seiner Frau Julie wehtat. Manchmal hörte ich sie im Sommer, wenn ich das Fenster offen hatte, streiten. Es waren keine netten Worte, die der Wind mir auf diesem Wege nachts ins Ohr hauchte. Nachdem Jeremy endlich weg war, war es in dem Haus auf der anderen Straßenseite sehr viel ruhiger geworden. Trotz allem blieb Julie auf Distanz und auch von meiner Seite hatte ich keine weiteren Versuche unternommen, mich mit dieser Frau anzufreunden. Im Grunde war sie immer noch eine Fremde für mich. Aber dies beruhte ebenso auf Gegenseitigkeit. Ich war gespannt, wie sie auf mich reagieren würde, wenn ich mitten in der Nacht an ihrer Tür klopfen würde, noch dazu in diesem merkwürdigen Outfit. Doch als ich vorsichtig die Veranda hinaufschlich und sah, dass die Tür nur noch halb in ihren Angeln hing, waren meine Gedanken über unpassende Kleidung sofort vergessen. Was war hier passiert? Hatte hier auch schon ein ungebetener Gast zuvor an die Tür geklopft? Vorsichtig betrat ich das Haus; es war hell erleuchtet. Wenigstens darin hatte ich mich nicht getäuscht. Doch als ich das Chaos in der Wohnung sah, war ich mir nicht mehr sicher, ob Julie mir wirklich noch helfen konnte. Ich ließ meinen Blick langsam durch den Raum gleiten. Fast hätte ich sie übersehen! Nur ein paar Schritte neben mir lag Julie auf dem Boden. Ich stürzte zu ihr und kniete mich neben sie. Sie atmete nicht mehr und ich konnte auch keinen Puls spüren. Als ich sie vorsichtig berührte, fühlte sie sich genauso kalt an wie mein Victor, als ich ihm einen letzten Kuss gegeben hatte. Es war die Kälte des Todes, die ich in so kurzer Zeit erneut zu spüren bekam. Ich fröstelte und zog mein Jäckchen enger um meine Schultern. Für Julie kam leider jede Hilfe zu spät. Ob der Übeltäter noch im Haus war? Schnell erhob ich mich und zückte meine Waffe. Sicher war sicher! Vorsichtshalber schloss ich die Haustür. Auch wenn ich wusste, dass ein leichter Stoß ausreichen würde, sie komplett aus den Angeln zu reißen, wollte ich niemanden mit einer offenen Tür und Festtagsbeleuchtung willkommen heißen.

Vorsichtig schlich ich weiter und schaute mich in jedem Raum um. Die anderen Zimmer waren gar nicht oder nur leicht verwüstet. War Julie ihrem Angreifer entgegengelaufen oder hatte sie ihn vielleicht sogar erwartet? War es jemand gewesen, den sie kannte? Oder sogar liebte? War Jeremy wieder da? War er zurückgekommen? Im unteren Stockwerk schien sonst so weit alles normal und ruhig. Leise stieg ich die Treppe nach oben. Hatte ich da eben ein Geräusch gehört? Ich spitzte die Ohren. Da war es schon wieder; es kam von dem letzten Raum auf der linken Seite. Ich umklammerte meinen Lady-Revolver fester und setzte einen Fuß vor den anderen. Schritt für Schritt näherte ich mich der letzten Tür. Die anderen beiden Türen waren geschlossen und obwohl ich keine weiteren Geräusche vernehmen konnte, war ich mir sicher, dass ich hier oben nicht allein war. In der einen Hand hielt ich meinen schussbereiten Revolver, mit der anderen drückte ich langsam die Türklinke hinunter. Ich sah Kerzenschein und im nächsten Moment stürzte sich eine dunkle Gestalt auf mich. Ich konnte gerade noch zur Seite hechten, doch der Angriff kam so überraschend, dass sich ein Schuss löste. Die Kugel traf die Gestalt mitten in die Brust, doch es schien ihr nichts auszumachen. Ich wich ein paar Schritte weiter zurück. Im Flackern des Lichtes konnte ich das Gesicht erkennen. Auch wenn er verändert aussah, erkannte ich ihn doch.

"Jeremy!", rief ich. Es war Julies Mann, doch er reagierte nicht auf seinen Namen. Das Licht aus dem Flur offenbarte ein wutentbranntes Gesicht. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Bevor er sich erneut auf mich stürzen konnte, feuerte ich zwei weitere Kugeln auf ihn ab. Sie trafen ihn ebenfalls in der Brust, doch sie konnten ihn nicht stoppen. Das würde jetzt sicher nicht mehr als Notwehr durchgehen, dachte ich, als ich meinen Arm ein Stück höher hob und direkt auf seinen Kopf zielte. Die Kugel traf ihn oberhalb der Augen. Es war ein gezielter Treffer und Jeremy ging zu Boden. Er sackte einfach in sich zusammen. Erst jetzt nahm ich den Raum um mich herum wahr. Was war das hier? Überall brannten Kerzen und ließen diese bizarre Szene noch unheimlicher erscheinen. Vorsichtig stieg ich über Jeremys Körper hinweg und schaltete das Licht ein. Auch wenn das Zimmer mehr an einen Altarraum erinnerte, so war es wohl doch eins Julies Schlafzimmer gewesen. In der Mitte standen das große Ehebett und ein alter Kleiderschrank in der anderen Ecke. Doch was hatte Julie hier gemacht? Überall standen Kerze und der Geruch von verbrannten Kräutern lag in der Luft. Ich pustete sämtliche Kerzen aus; die meisten waren schon ziemlich weit heruntergebrannt. Ich schaute mich weiter in Zimmer um. Es sah wirklich so aus, als hätte Julie hier einen kleinen Schrein für ihren Mann aufgebaut. Inmitten der größten Ansammlung von fünf Kerzen stand eine gerahmte Fotografie von Jeremy. Vorsichtig nahm ich das Bild in die Hand. Ja, so hatte ich Jeremy auch in Erinnerung! Ich stellte das Bild zurück und näherte mich dem leblosen Körper; er war groß und schwer. Nur mit größter Anstrengung schaffte ich es, ihn auf den Rücken zu drehen. Doch was war mit ihm passiert? Abgesehen von den drei Löchern in seiner Brust wirkte sein Körper sonderbar. Seine Kleidung war erdverkrustet und schmutzig. Es ging ein modriger Geruch von ihm aus. Sein Gesicht wirkte fahl und in sich eingefallen. Der Kopfschuss war ein 1A-Treffer gewesen. Die Zeit auf dem Schießplatz hatte sich definitiv gelohnt.

Jeremys dunkle Augen starrten mich weiterhin böse an. In seinem Blick hatten wirklich keinerlei Emotionen mehr gelegen. Nur das absolut bitterböse. Ob Julie wohl auch zu dieser Erkenntnis gelangt war? Doch wohl leider nicht mehr rechtzeitig! Was hatte sie nur getan? Hatte Julie versucht, ihren Mann mit einem Zauber wieder zurückzubringen? Hatte sie noch nie davon gehört, dass Liebeszauber meist nach hinten losgingen? Liebe konnte man nicht erzwingen. Warum hatte ihr das niemand erklärt? Mit manchen Kräften sollte man lieber nicht spielen. Doch nun war es zu spät! Julie hatte ihrem Mann wieder Einlass in ihr Heim gegeben und dafür mit ihrem Leben bezahlen müssen. Doch jetzt hatte auch Jeremy dafür gezahlt. Vier Kugeln! Vier Kugeln hatte es gebraucht, um ihn zu stoppen. Ich sammelte die Hülsen ein und hielt sie einen Moment fest in meiner Hand. Vier Kugeln, das war der Preis für mein Leben! Auch wenn ich mich innerlich darüber ärgerte, wusste ich, dass es auch keinen Sinn machen würde, mit einem Beutel voller Munition zu sterben. Dennoch mahnte ich mich nun zur Vorsicht, etwas sparsamer mit dem raren Gut umzugehen.

Gerade als ich das Schlafzimmer wieder verlassen wollte, fiel mein Blick auf ein Buch, das unter dem Bett hervorlugte. Ich hob es auf und betrachtete den Einband mit weit aufgerissenen Augen. Es war ein Beschwörungsbuch dunkler Rituale. So hatte Julie es also gemacht! Sie hatte ihren Zauber in einem Zauberbuch für schwarze Magie gefunden. Ich hätte nie geglaubt, dass so etwas funktionieren würde; und hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, hätte ich es auch nie geglaubt! Mit größter Vorsicht blätterte ich Seite für Seite um. So groß war mein Respekt vor diesem Buch und meine Angst, dass ich ungewollt durch die bloße Berührung der Seiten einen bösen Zauber entfesseln würde. Ob ich den Zauberspruch finden konnte, den Julie benutzt hatte? Gab es in diesem Buch auch einen passenden Gegenzauber? Irgendein Ritual, mit dem man die wandelnden Toten wieder zurückschicken konnte? Oder würde man durch jeden weiteren Zauber noch mehr Unheil entfachen? Ich war einfach nicht sicher, was ich mit diesem Buch anfangen sollte. War es nun Fluch oder Segen, dass ich es zufällig gefunden hatte?

Beim weiteren Durchblättern segelte plötzlich ein Stück Papier zu Boden. Es war ein handgeschriebener Brief von Julie. Ich musste den Brief ein zweites Mal lesen, bevor ich alle Zusammenhänge verstehen konnten. Zu sehr war ich geschockt von den geheimen Offenbarungen, die Julie hier niedergeschrieben hatte. In diesem Brief gab sie ganz offen zu, dass sie ihren Mann Jeremy getötet hatte. Wie sie erklärte, war es aus Notwehr gewesen. Jeremy war ihr gegenüber immer brutaler geworden und irgendwann war es plötzlich eskaliert. Obwohl sie ihren Mann über alles geliebt hatte, konnte sie diese Situation nicht vermeiden. Julie hatte diesen Mord vertuscht und die Leiche ihres Liebsten heimlich im Garten beigesetzt. Aber den Schmerz und die Trauer über diesen großen Verlust hatte sie nie überwunden. Also hatte sie nach Mitteln und Wegen gesucht, ihren Mann wieder zum Leben zu erwecken. Und scheinbar war Julie genau das gelungen. Oder sogar noch mehr. Julie hatte den Zauber so verändert, dass alle, die ihren Liebsten viel zu früh genommen wurden, wieder zurückkehren sollten. Und das waren, weiß Gott, sicher nicht wenige! Dies war auf jeden Fall die Erklärung, warum auch mein Victor wieder auferstanden und nach Hause gekommen war. Er war auch auf der Suche nach der Person, die ihn über alles liebte. Die Person, deren Liebe über den Tod hinaus ging und somit als Schlüssel diente. Doch waren diese Wesen, die in der Gestalt unserer Geliebten wiederkehrten, nicht mehr ganz sie selbst. Sie waren Zombies, kalte Wesen, ohne Herz und ohne Verstand! Was hatte Julie nur getan? Welche böse Macht hatte sie hier missbraucht?

Und so schlich ich mich zurück zu meinem Haus, in der Hoffnung, dass nichts und niemand mich gesehen hatte. Vor der Garage hielt ich inne; Gartenwerkzeug könnte bestimmt auch sehr hilfreich sein. Und von innen käme ich sogar lautlos an das Werkzeug heran. Die Haustür stand immer noch offen. Das Schloss hatte zwar vorhin nachgegeben, aber auf den ersten Blick schien kein größerer Schaden entstanden zu sein. Leise zog ich die Tür hinter mir zu. Auch wenn sie nicht im Schloss einrastete, so sollte sie wenigstens nicht den Anschein einer unausgesprochenen Einladung abgeben. Es reichte, wenn sich eins von diesen merkwürdigen Wesen in meinem Haus aufhielt.

Leise bewegte ich mich zur Verbindungstür, die direkt in die Garage führte. Die einzige Tür im Haus, die ich immer geschlossen hielt. Doch es war keine alte, knarrende Tür! Solche Türen gab es in meinem Zuhause nicht. Mit minimalem Geräusch öffnete ich die Tür, schlüpfte hindurch und schloss sie direkt hinter mir wieder. Alles wirkte hier ganz normal auf mich. Jedes Werkzeug war an seinem Platz. Hier hatte Viktor definitiv nicht nach mir gesucht. Ich schnappte mir als erstes den Werkzeuggürtel und befestigte einen großen Hammer und mehrere Schraubenzieher daran. Die Axt wäre sicherlich auch eine gute Waffe, aber sie war etwas unhandlich und würde mich nur behindern. Doch dann fiel mir die kleine Heckenschere ins Auge und ich griff instinktiv danach. Ich fühlte mich nun gut ausgerüstet und sogar ein bisschen sicherer. Mehr konnte ich gerade nicht tun. Auf keinen Fall wollte ich mich hilflos dieser Situation aussetzen. Ich war bereit, mich allem entgegenzustellen und um mein Leben zu kämpfen. Oder eher gesagt, mich zu verteidigen. Mich und mein Haus! Viktor oder dieses Wesen, zu dem er nun geworden war, war ein Eindringling in meinen vier Wänden. Und nun war es an der Zeit, ihn zu beseitigen!

Ich verließ die Garage auf dem gleichen Weg, wie ich hinein gekommen war. Es war immer noch alles ruhig im Haus. Mit der Taschenlampe leuchtete ich den Raum aus, aber alles schien unberührt. Vorsichtig schaltete ich das Licht im Wohnzimmer ein. Die Lampe erhellte den Raum, aber nichts sprang mir entgegen. Das Licht im Wohnzimmer spendete genug Licht, um auch einen Blick in die Küche zu werfen. Nichts! Alles schien noch genauso, wie ich es zurückgelassen hatte. Die beiden Barhocker standen am schwarzen Tresen, das Geschirr stand in der Spüle. War Viktor wirklich nach Hause zurückgekehrt oder hatte ich mir das alles nur eingebildet? Ein Rumpeln von oben ließ mich zusammenfahren. Viktor war also im oberen Stockwerk! Leise schlich ich weiter von Raum zu Raum und spähte auch noch in mein Büro, das kleine WC und die Abstellkammer neben der Küche. Ich wollte auf Nummer sichergehen, dass Viktor wirklich der einzige ungeladene Gast in meinem Haus war und die offenstehende Tür nicht noch weitere Wesen angezogen hatte. Doch das Erdgeschoss war so weit in Ordnung. Clear!

Mit einem unguten Gefühl stieg ich die Treppe nach oben. Unsicher, was mich dort erwarten würde. Am oberen Treppenabsatz angekommen, blieb ich stehen und lauschte. Hier oben gab es nur drei Zimmer. Das große Schlafzimmer, das sich einst Viktor und ich geteilt hatten, ein großes Badezimmer und ein Gästezimmer, das auch als Kinderzimmer hätte dienen können. Doch Viktor hatte mir keine Kinder geschenkt und wir hatten unser Leben auch zu zweit sehr genossen. Bis er mir dann viel zu früh genommen wurde! Gerade in seinen besten Jahren angekommen, hatte er die Erde auch schon wieder verlassen müssen. Schon merkwürdig, wie das Leben manchmal so spielt. War das hier seine zweite Chance zurückzukommen? Seine zweite Chance, auf der Erde zu wandeln?

Welche Ambitionen trieben ihn an? Welcher Intuition folgte er? Ich lauschte noch immer, aber es war nichts zu hören. Konnte Viktor meine erneute Anwesenheit im Haus spüren. Ich wusste es nicht. Genauso wenig wusste ich, wo er sich genau aufhielt. Alle drei Türen, die vom Flur abgingen, standen offen. Auch wenn es nicht so viele Möglichkeiten gab, so machten die einzelnen Räume schon eine Menge aus. Das große Bett im Schlafzimmer befand sich mittig und konnte eine schnelle Fluchtmöglichkeit bieten. Das Bett im Gästezimmer stand einfach nur an der Wand und würde wenig hilfreich sein. Auch die direkte Verbindungstür vom Schlafzimmer zum Badezimmer könnte sich als nützlich erweisen. Ich beschloss, der Reihe nach vorzugehen. Das große Schlafzimmer war die erste Tür, die nun offen vor mir stand. Das Licht von unten reichte leider nicht bis hier oben und ich traute mich auch nicht, weitere Lampen einzuschalten. Der Schein der Taschenlampe musste genügen. Vorsichtig setzte ich einen Fuß ins Schlafzimmer und machte leise den ersten Schritt ins Zimmer. Ich blieb stehen und wartete, zählte in meinem Kopf bis drei. Doch nichts passierte. Ich setzte vorsichtig meinen Fuß vor den anderen, wartete wieder und zählte erneut bis drei. Doch es geschah immer noch nichts. So arbeitete ich mich bis in die Mitte des Raumes vor. Ich leuchtete alle Ecken aus, doch niemand war hier!

Gut, blieben nur noch zwei weitere Räume, dachte ich, während mein Herz immer schneller schlug und regelrecht Purzelbäume in meiner Brust vollführte. Ich näherte mich der Verbindungstür zum Badezimmer, die geschlossen war. Konnte ich mir nicht doch irgendwie den Vorteil von Licht zunutzen machen? Warum auch nicht? Ich schaltete meine Nachttischlampe ein. Während ich so leise wie möglich versuchte, die Tür zu öffnen, hielt ich unbewusst die Luft an. Alles war still, als ich den Kegel der Taschenlampe durch das Badezimmer gleiten ließ. Die Toilette, die zwei Waschbecken, die Badewanne. Alles wurde nur für den Bruchteil einer Sekunde vom Licht gestreift. Und dann sah ich ihn. Er stand mit dem Rücken zu mir, direkt neben der Dusche. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich meinen Atem immer noch angehalten hatte. Hatte er das Licht bemerkt oder mein Ausatmen vernommen? Noch rührte er sich nicht. Das machte die Situation jedoch noch unheimlicher. Wenn Viktor mich angreifen würde, so könnte ich aus Notwehr handeln. Doch was war sein Unterfangen? Warum war er hier? Sollte ich ihn ansprechen? Konnte er mich hören und verstehen? Würde er mir auch antworten? "Viktor?", flüsterte ich in die Stille. Keine Reaktion! War er in einer Trance oder lauerte er mir auf? Vorsichtig platzierte ich die Taschenlampe in der Nähe der Toilette. Sie spendete mir etwas Licht, sodass ich Viktor sehen konnte, ihn aber nicht direkt anleuchtete. Noch immer hatte Viktor sich nicht bewegt und er machte mir immer mehr Angst. Was würde mich erwarten, wenn er sich zu mir umdrehte? Würde ich in seine toten Augen blicken oder würde er mich freudestrahlend anlächeln und wir würden unser gemeinsames Leben fortsetzen? Letzteres schien mir wie hoffnungsvoller Gedanke, der nur in einem Märchen wahr werden konnte.

Doch ich war nicht bereit, Viktor ein zweites Mal zu verlieren. Und dieses Mal durch meine eigene Hand. Ich war nicht bereit, den Schmerz und das Leid ein weiteres Mal zu durchleben. Warum tat man mir das an? Hatte ein Mal nicht gereicht? Einmal Abschied zu nehmen von der Liebe meines Lebens, von dem wichtigsten und einzigen Menschen, der mein Leben ausgemacht hatte. Scheinbar nicht! Ich machte ein paar Schritte auf Victor zu. Es wäre ein leichtes gewesen, ihm von hinten eine Kugel in den Kopf zu jagen. Aber ich war nicht sicher, was aus Viktor geworden war. Ich konnte ihn doch nicht einfach killen; die Liebe meines Lebens! Erst musste ich ganz sicher sein und mich davon überzeugen, dass er zu einem Untoten geworden war. Noch immer hatte ich genug Abstand zu ihm, als ich seinen Namen leise wiederholte. "Viktor?", wisperte ich. Ein leichter Ruck durchfuhr seinen Körper. Fast hätte ich es gar nicht wahrgenommen, aber ich spürte die Veränderung im Raum. Die Luft vibrierte und flimmerte regelrecht.

Und dann drehte sich Viktor zu mir um. Obwohl der Lichtschein ihn nur minimal erhellte, ließ sein Anblick mich erschaudern. Seine Haut war dünn und verwest. Die Knochen schimmerten durch und sein Gesicht gleichte schon eher einem Totenschädel. Seine Nase war verschwunden und seine Lippen grau. Das Zahnfleisch hatte sich zurückgezogen und sein Mund entblößte freiliegende Zähne. Sofort begriff ich, dass diese Kreatur nicht mehr mein geliebter Viktor war. Und dass er auch nicht für ein romantisches Happy-End nach Hause zurückgekommen war. Mit langsamen, unbeholfenen Bewegungen machte er ein paar Schritte auf mich zu. Sein Mund bewegte sich, doch es kamen keine verständlichen Worte über seine Lippen. Viktor! Was war nur mit ihm geschehen? Er streckte seine Arme nach mir aus und versuchte mich zu packen. Doch ich war schneller und konnte ihm ausweichen. Viktor verlor sein Gleichgewicht und landete plump zu meinen Füßen.

Bei genauerem Hinsehen wirkte sein ganzer Schädel eher morsch und zerbrechlich. Vor allem sein Hinterkopf schien eine Schwachstelle zu sein. Er versuchte sich mühselig und unbeholfen aufzurichten, doch ich kam ihm zuvor. Mit aller Wucht rammte ich ihm die Heckenschere in den Hinterkopf. Wenn ich etwas aus Zombiefilmen gelernt hatte, dann wie man sie vernichtete. Viel blieb von ihnen nicht übrig, aber man musste immer das Gehirn zerstören. Viktor ging erneut zu Boden. Hatte die Heckenschere ausgereicht, die Verbindungen in seinem Hirn zu zerstören? Viktor zuckte noch leicht. Ich atmete laut aus und hob meinen Fuß. Mit voller Wucht ließ ich meinen Schuh auf Viktors Kopf herunter und traf seinen Schädel. Ich spürte, wie der morsche Knochen unter meinem Schuh nachgab. Das Geräusch, als der Knochen barste und sein Gehirn von meinen Schuh zermatscht wurde, hallte lange in meinem Kopf nach. Jetzt rührte Viktor sich wirklich nicht mehr!

Ich schaltete das Licht ein und betrachtete das volle Ausmaß dieser Sauerei. Zum Glück war es das Badezimmer! Nachdem ich das Schloss an der Haustür repariert hatte und die Tür hinter mir fest verriegeln konnte, fühlte ich mich fürs Erste sicher. Ich blickte auf die Uhr. Es war kurz nach halb 4. Schnell schaltete ich das Licht aus und begab mich nach oben ins Schlafzimmer. Bevor ich mich dem neuen Tag stellen musste, wollte ich noch ein paar Stunden schlafen. Nur ausgeruht würde ich die Kraft für neue Herausforderungen aufbringen können. Und noch war ich nicht sicher, was alles auf mich zukommen würde.

© 2024 by Merci

nach oben