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Heute Nacht ist es endlich so weit! Heute Nacht ist die Nacht der Nächte, es ist Halloween! Endlich hat das Warten ein Ende. So lange habe ich schon gewartet, aber jetzt ist es so weit. Der 31. Oktober, der Tag der Untoten und Geister. Heute Nacht werden sie zurückkommen! Denn ich werde sie zurückbringen, ich ganz allein! Die ganze Welt wird mein Werk bewundern, meinen Ruhm miterleben und mich vergöttern, denn ich werde die Toten auferstehen lassen.

So weit mein Plan. Dieser steht schon sehr lange fest. Eigentlich wollte ich nur einen Verstorbenen zurückbringen: meinen geliebten Jeremy. Viel zu früh hatte er aus seinem Leben scheiden müssen und heute Nacht soll er seine zweite Chance bekommen. Ich hoffe so sehr, dass mein Plan funktionieren wird. So, wie ich es mir immer erträumt habe. Oft schon hatte ich davon geträumt, wie es wohl ausgegangen wäre, wenn damals alles anders gelaufen wäre. Wären wir jetzt noch zusammen? Wären wir glücklich geworden, wenn wir nicht immer nur gestritten hätten?

Doch in letzter Zeit kamen auch öfters mal Zweifel auf und ich stellte mir die Frage, ob wir überhaupt jemals glücklich gewesen waren. Verschloss ich nur die Augen vor den schrecklichen Momenten, in denen Jeremy ausgeholt hatte, um mich zu schlagen. Wie oft hatte er mich geschlagen, weil ihm etwas nicht gepasst hatte? Aber ich hätte ihm auch nicht immer widersprechen sollen. War mir dies überhaupt gestattet gewesen? Musste ich ihm denn immer meine Meinung und meine Bedenken mitteilen? Vielleicht wäre es manchmal besser gewesen nichts zu sagen und meine Gedanken einfach für mich zu behalten. Von Anfang an hatte ich doch gewusst, dass Jeremy ein Schlägertyp war. Es war wirklich keine gute Idee gewesen, ihm zu sagen, dass er durch Gewalt nicht alles erreichen konnte. Damals hätte ich nicht gedacht, dass er auch mich schlagen würde. Hatte ich doch geglaubt, dass er mich über alles lieben würde. Was hatten mir seine Worte und Beteuerungen genutzt? Was hatte ich davon, wenn er mir sagte, dass es ihm leid täte und er mich dabei gleichzeitig wieder schlug? Zu jedem Faustschlag hatte ich ein ‚Ich liebe dich’ zu hören bekommen. Doch das hatte alles nur schlimmer gemacht, denn ich hatte ihn wirklich geliebt und wehrlos seine Schläge hingenommen. Aber das Schlimmste an der Sache ist, ich habe niemals aufgehört, ihn zu lieben. Selbst bis heute nicht!

Niemals hätte ich es tun dürfen! Wird Jeremy mir verzeihen oder verstehen können, warum ich es getan hatte. Ich weiß es nicht, aber ich habe jede Nacht dafür gebetet. Jede Nacht, in der ich wach gelegen habe und vor Schmerzen nicht schlafen konnte. Mein Körper, der stets von blauen Flecken übersät war, schmerzte sehr. Doch noch viel schlimmer waren die Schmerzen in meinem Herzen und in meiner Seele. Diese Schmerzen spüre ich noch heute und sie sind auch dafür verantwortlich, dass ich ihn nicht vergessen konnte. Die Erinnerungen schmerzen genauso sehr und dennoch liebe ich Jeremy noch immer. Im Nachhinein betrachtet war unsere Liebe tödlich gewesen. Doch ich hatte es damals nicht wahrhaben wollen. Erst viel zu spät hatte ich es bemerkt. Aber hätte ich es noch ändern oder verhindern können? Kann ich es heute wieder gutmachen oder werde ich alles noch schlimmer machen? Ich bin mir dieser Gefahr stets bewusst. Unterzeichne ich hiermit vielleicht mein eigenes Todesurteil? Alles Fragen, auf die ich noch keine Antwort habe. Ungewissheit umgibt mich und weitere Zweifel nagen an mir. Ich halte es nicht mehr aus! Zum Glück dauert es jetzt nicht mehr lange.

Die Turmuhr schlägt laut und deutlich. -Eins- Ich halte den Atem an und lausche den imposanten Schlägen. -Zwei- Ich bin hellwach und voll konzentriert. -Drei- Es ist das einzige, was ich höre. -Vier- Ich richte mich nach ihnen. -Fünf- Es ist wie eine alte Tradition! -Sechs- Aus alter Zeit, von früher noch. -Sieben- Als die Welt noch wunderbar war. -Acht- Als ich Jeremy noch nicht gekannt hatte. -Neun- Manchmal wünschte ich sogar, ich hätte ihn nie kennengelernt. -Zehn- Zehn Schläge, mehr sind es diesmal nicht. Noch zwei Stunden bis Mitternacht!

Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll oder nicht. Ich warte schon so lange auf diesen Moment. Doch wenn ich ehrlich bin, beschleicht mich langsam ein ungutes Gefühl. Ist es mein Gewissen oder einfach nur die Angst vor dem Unbekannten? Wie wird die Welt morgen aussehen? Wird es morgen überhaupt noch eine Welt geben? Was wird heute Nacht geschehen? Kann ich mir mein Glück zurückholen oder werde ich erneut mein Unglück heraufbeschwören? Liebe oder Rache? Glück oder Unglück? Leben oder Tod?

Ich hoffe, nicht in mein eigenes Verderben zu rennen. Oder hat es mich schon längst eingeholt? Habe ich mir schon selbst mein eigenes Grab geschaufelt? Diese Bedenken zerfressen mich von innen heraus. Was soll ich nur tun? Kann ich überhaupt noch etwas tun oder ist es schon zu spät? Ist es wieder einmal zu spät, den Lauf der Dinge noch ändern zu können? Damals konnte ich das Unheil nicht abwenden. Werde ich es dieses Mal können? Habe ich in der ganzen Zeit überhaupt etwas dazugelernt oder ist alles nur ein Spiel? Ein wahrlich gefährliches Hobby, das ich mir als Zeitvertreib ausgesucht hatte. Immer wieder fragte ich mich, ob es überhaupt richtig war, diesen Weg einzuschlagen. Vielleicht war es auch der nächste große Fehler in meinem Leben. War es richtig, sich mit schwarzer Magie zu beschäftigen und diese Künste zu erlernen? Ich werde es wohl herausfinden müssen! Aber damals war dies der einzige Weg gewesen, den ich gesehen hatte. Mein Beten und Bitten hatte versagt! Ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen und meine Tat ungeschehen machen. Gott hatte mir meinen Geliebten nicht zurückgebracht. Würde Luzifer es jetzt tun? Vielleicht bringt er mich auch direkt zu ihm? Bald schon werde ich es wissen! Mehr als Abwarten kann ich jetzt nicht. Zum Glück ist es bald vorbei. Der Schleier meiner Ungewissheit wird sich lüften und mir die Wahrheit zeigen. Liebe oder Rache? Glück oder Unglück? Leben oder Tod?

Ich schaue auf und blicke zu seinem Bild. Das Bild, das mich immer wieder an meine Schuld erinnert. Ich darf sie nicht vergessen, genauso wenig wie meine Tat. Immerhin war es meine Schuld gewesen! Da bin ich mir ganz sicher. Ich hatte Jeremy immer wieder die Gründe geliefert, mich zu schlagen, denn ich hatte einfach meinen Mund nicht halten können und ihm ständig Widerworte gegeben. Es war falsch gewesen, mich immer zu beklagen. Das war es doch, oder nicht? Im Laufe der Jahre hatte sich sein Verhalten verändert und die Probleme auf seiner Arbeit waren noch dazugekommen. In dieser Zeit war es noch viel schlimmer geworden. Jeremy hatte alles an mir ausgelassen und ich hatte es hingenommen. Es war schon fast zur Gewohnheit geworden. Für ihn, wie auch für mich.
Es hatte einfach zu unserem Leben gehört und die Schläge waren von Tag zu Tag häufiger geworden. Am Ende hatte ich einen Teil meines Lebens verloren. Den Teil meiner Selbstachtung und Würde! Leider muss ich mir heute gestehen, dass ich damals diesen

nicht einmal vermisst hatte. War das wirklich mein Leben gewesen? Die Schläge und die Schmerzen? Die Schreie, die Nacht für Nacht ungehört im Wald verklungen waren? Die Gewalt und die Brutalität? Die Angst und das Leid? War das alles gewesen, was mein Leben ausgemacht hatte? Woraus besteht dann heute mein Leben? Die satanischen Rituale und schwarze Magie? Dabei war es doch immer mein größter Wunsch gewesen, ein glückliches Leben zu führen. Was hatte ich denn nur falsch gemacht?

Und wieder verweilt mein Blick auf seinem Bild. Die Uhr schlägt wieder. -Eins- Wieso war Jeremy nur immer so brutal zu mir gewesen? -Zwei- Er war so gut aussehend gewesen. Seine helle und zarte Haut. -Drei- Sein welliges Haar war besonders hinreißend gewesen. -Vier- So schöne schwarze Locken, die ihm manchmal sanft in die Augen gefallen waren. -Fünf- Dann dachte ich an seinen Mund und seine warmen Lippen. -Sechs- Er hatte so gut geküsst. Leidenschaftlich, aber auch gierig. -Sieben- Und seine Augen! Geheimnisvoll hatten sie seine finstere Seele verborgen. -Acht- Man konnte in diesen Augen eintauchen und sich darin verlieren. -Neun- Doch hatte man nichts außer tiefster Finsternis gefunden. -Zehn- Oh ja, er war geheimnisvoll und böse gewesen! Aber ich hatte ihn so sehr geliebt. Ich liebe ihn noch immer! -Elf- Nur noch eine Stunde, bis er wieder bei mir sein wird. Bis wir wieder vereint sind. Liebe oder Rache? Glück oder Unglück? Leben oder Tod?

Noch immer sehe ich die Geschehnisse seiner Todesnacht vor mir. Ich hatte diese Nacht immer wieder in meinen Träumen erlebt. Träume, aus denen ich immer schweißgebadet erwacht war. Hoffentlich wird es damit vorbei sein, sobald wir wieder vereint sind. Ich möchte diese schrecklichen Bilder nicht mehr sehen! Dabei gewesen zu sein, war für mich schon schlimm genug gewesen. Aber es immer wieder zu erleben, halte ich langsam nicht mehr aus. Die Bilder dieses Grauens haben sich in meinem Gedächtnis festgesetzt und sich tief in meine Seele eingebrannt. Ich sehe sie immer vor mir, selbst wenn ich wach bin. Das Blut und das ganze Elend. Ich konnte das ganze Blut bis heute nicht vollständig wegwaschen. Egal wie oft ich den Boden bis heute auch geschrubbt habe, ich kann das Blut immer noch sehen. Es war einfach überall!

Es war bereits späte Nacht, als mein Geliebter nach Hause gekommen war. Mir war schon vorher klar gewesen, dass er wieder schlecht gelaunt sein würde und ich als Sündenbock herhalten müsste. Als Jeremy aus seinem Auto gestiegen war, funkelten seine Augen bereits in böser Erregung. Dieses Funkeln war immer das erste Anzeichen. Die Blutergüsse an meinem Körper waren noch immer nicht verheilt und ich hatte auch noch starke Schmerzen von den letzten Tagen. Dieses Mal hatte ich wirklich große Angst vor ihm! Seinem Blick nach zu urteilen, wusste ich, dass es heute Nacht noch schlimmer kommen würde. Ich hatte nicht gewusst, woher dieser Gedanke gekommen war. Es war wie eine Eingebung gewesen. Eine dunkle Gewissheit, die mich überkommen hatte und genau in diesem Augenblick war mir klar geworden, dass ich diese Nacht nicht überleben würde! Tief in meinem Inneren hatte ich gespürt, dass heute Nacht jemand sterben würde. Daran hatte kein Zweifel bestanden: entweder er oder ich! Also war ich in die Küche geeilt und hatte das Messer mit der größten Edelstahlklinge gegriffen. Denn ich wollte nicht sterben! Nicht heute Nacht und nicht auf diese Weise! Für einen Moment hatte mich mein Überlebenswille meine Liebe vergessen lassen. Nur für diesen einen, kurzen Moment. Doch dieser hatte ausgereicht. Ich wollte diese Nacht überleben, egal zu welchem Preis. Ich war fest entschlossen gewesen und ich hatte es geschafft!

So war diese besagte Nacht zur Todesnacht meines Geliebten geworden. Er hatte sterben müssen, damit ich weiterleben konnte. Mit dem Messer in der Hand war ich durchs Haus geschlichen. Zum Glück hatte ich schnell ein sicheres Versteck zwischen den Wänden gefunden, in dem Jeremy mich hoffentlich nicht finden würde. Er war zur Tür hereingekommen und hatte das Haus verlassen vorgefunden. Als er mich nicht finden konnte, fing er sofort an zu schreien. Egal, was ihm im Wege gestanden hatte, er trat auf alles ein und fegte wutentbrannt durch das ganze Haus. Er war total verrückt geworden und ich wusste, dass er mich töten würde, falls er mich doch noch finden sollte. Plötzlich näherte er sich meinem Versteck und ich konnte ihn durch die Holzbalken deutlich sehen. Mein Körper verkrampfte sich und ich gab mir größte Mühe keine Geräusche zu machen. Ich wollte seine Aufmerksamkeit nicht auf mein Versteck lenken. Bisher hatte er mich noch nicht entdeckt und dabei sollte es auch bleiben! Ich stand ganz still und zählte die Sekunden. Dann drehte er mir wieder den Rücken zu. Er packte einen Stuhl und schleuderte ihn mit voller Wucht gegen die Wand. Der Stuhl zersplitterte und fiel polternd zu Boden. Ich nutze diese Gelegenheit und sprang mit einem lauten Schrei aus meinem Versteck hervor. Mit aller Kraft rammte ich ihm das Messer seitlich in den Hals. Jeremy jaulte vor Schmerzen laut auf und drehte sich zu mir um. Mit seiner letzten Kraft packte er mich und schleuderte mich gegen die Wand. Ich landete genau neben den Überresten unseres schönen Holzstuhls. Der Aufprall war so hart gewesen, dass ich das Bewusstsein verloren hatte. Doch auch für Jeremy war es zu spät gewesen. Das Messer hatte ihn tödlich am Hals verletzt und sein Versuch es zu entfernen, hatte einen noch stärkeren Blutverlust zur Folge gehabt. Es dauerte nicht lange, bis er auch zu Boden gegangen war und sich nicht mehr rühren konnte. Als ich einige Minuten später wieder zu mir kam, brummte mein Schädel stark. Ich sah Jeremy am Boden liegen und versuchte zu ihm zu kommen. Doch es drehte sich alles um mich herum und ich landete wieder auf dem Boden. Langsam atmete ich ein und aus und kroch zu ihm hinüber. Er bewegte sich nicht. Ich nahm ihm in den Arm und gab ihm einen Kuss. Erst jetzt bemerkte ich, dass er keinen Puls mehr hatte. Ich gab ihm noch einen letzten Kuss. Flüsternd versicherte ich ihm, dass ich ihn immer lieben würde und bat ihn leise um Vergebung. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, die ich gesehen hatte! Ich hatte ihn töten müssen. Aus der Wunde an seinem Hals war sehr viel Blut geflossen. Erst jetzt hatte ich es bemerkt: Überall war Blut! Es war auf dem Boden und an meiner Kleidung. Das Blut meines Geliebten klebte an meinen Händen!

Mit einem Schrei schrecke ich auf. Ich war kurz eingenickt und die Bilder der Vergangenheit hatten mich erneut eingeholt. Ich gehe zum Fenster und schaue hinaus. Dort drüben am Waldesrand steht ein kleines Kreuz. Darunter liegt mein Geliebter begraben. Aber nicht mehr lange, denn schon bald wird er wieder hier sein. Ich hoffe, er wird mir verzeihen. Und sich nicht an mir rächen wollen. Besteht denn die Chance, dass wir wieder zusammen sein können? Oder wird unsere Beziehung erneut scheitern, wie auch beim letzten Mal? Können wir überhaupt noch glücklich werden, nach allem was ich getan habe? Jetzt ist es zu spät, um den Lauf der Dinge noch zu ändern. Mein Geliebter wird wiederkehren! Daran kann ich jetzt nichts mehr ändern. Doch ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussehen wird. Liebe oder Rache? Glück oder Unglück? Leben oder Tod?

Bald ist es so weit. Ich habe schon alles vorbereitet. Verträumt blicke ich zu meinem Altar. Hübsch sieht er aus. Das Bild meines Geliebten wird von einer Kerze angestrahlt. Eine Locke seines wunderbaren Haares liegt daneben. In dem Schatten, den die Kerze wirft, liegen ein paar getrocknete Kräuter und in einer kleinen Vase steht eine schwarze Rose. Ein Räucherstäbchen verbreite einen strengen Duft von Weihrauch im ganzen Haus. Die Turmuhr schlägt erneut. -Eins- Ich stelle noch die letzten Kerzen im Zimmer auf. -Zwei- Sie sollen eine spirituelle Stimmung schaffen. -Drei- Ich blicke noch mal aus dem Fenster zu dem Kreuz. -Vier- Plötzlich bekomme ich keine Luft mehr und öffne das Fenster. -Fünf- Die frische Luft beruhigt mich ein wenig. -Sechs- Die Kerzen beginnen zu flackern und werfen unheimliche Schatten an die Wände. -Sieben- Bald wird mein Geliebter wieder hier sein! -Acht- Mit absoluter Konzentration vollführe ich den letzten Schritt des Rituals. -Neun- Neue Zweifel mischen sich in meinen Gedanken. Tue ich hier wirklich das Richtige? -Zehn- Mein Inneres verkrampft sich und ich werde immer nervöser. -Elf- Bald werde ich es wissen. Ich kann nur noch das Beste hoffen. -Zwölf- Mitternacht!

Beim dreizehnten Schlag schreie ich auf und blase die Kerze auf dem Altar aus. Es ist so weit, ich stürze zum Fenster und blicke hinaus. Die Erde unter dem Kreuz bewegt sich leicht. Das Ritual ist gelungen! Ich habe ihn zurückgeholt, mein Geliebter ist zurückgekommen. Ich setze mich vor den Altar und warte, was nun geschehen wird. Wie wird es wohl enden? Wird es überhaupt enden oder einfach nur weitergehen? Liebe oder Rache? Glück oder Unglück? Leben oder Tod?

Ich höre Jeremy mit polternden Schritten die Verandatreppe heraufsteigen. Langsam kommt er Schritt für Schritt die Stufen hoch. Er hämmert gegen die Tür. Sie kracht laut, doch hält sie stand. Ein weiterer Tritt und die Tür fliegt auf. Er ist da! Mein Herz macht einen Sprung. Endlich ist der Moment gekommen. Endlich ist mein Geliebter wieder bei mir! Ich laufe Jeremy entgegen und lasse mich in seine Arme fallen. Wortlos erwidert er meine Umarmung. Ich habe mir wohl grundlos Sorgen gemacht und bin einfach nur froh, meinen Geliebten wieder in den Armen halten zu dürfen. In diesem Augenblick bin ich wirklich glücklich! Er zieht mich an sich und wir küssen uns leidenschaftlich. Freut er sich? Ist er auch glücklich? Ich weiß es nicht, aber ich bin es auf jeden Fall! Nach so vielen Jahren des Schmerzes und der Trauer bin ich endlich wieder glücklich und lächele. Ich sage ihm, wie sehr ich ihn liebe und wie sehr ich ihn vermisst habe. Doch er sagt nichts und starrt mich nur an. Was ist denn plötzlich mit ihm los? Ist bei dem Ritual etwas schief gegangen? Ich hatte mich doch genau an die Anweisungen aus dem Buch gehalten und das Ritual gewissenhaft ausgeführt. Doch was hat Jeremy nur? Wieso spricht er nicht mit mir? Ich mache einen Schritt zurück. Meine Stimmung trübt sich und meine euphorischen Gefühle lassen schlagartig nach. Ich sage ihm nochmals, wie Leid mir alles tut und versuche ihm zu erklären, dass ich damals keinen anderen Ausweg gesehen hatte. Einer von uns hatte in der damaligen Nacht sterben müssen. Immer noch keine Reaktion von ihm. Ich verspreche ihm, dass wir diese zweite Chance nutzen und es diesmal besser machen werden. Keine Antwort. Ich blicke in seine Augen, doch ich sehe nichts darin. Seine Augen sind abgrundtief schwarz. Noch viel schwärzer, als ich es in Erinnerung habe. Plötzlich kommt er auf mich zu und schlingt seine Arme um mich. Er drückt mich fest an sich und ich kann mich kaum noch bewegen. Erwartungsvoll schaue ich zu ihm auf. Nach einem weiteren leidenschaftlichen Kuss blickt er mir in die Augen und sagt mit leiser, aber fester Stimme: „Das werden wir.“

Doch in seinen Augen steht plötzlich Hass. Ein kalter Hass aus den tiefsten Abgründen seiner Seele. „Denn dieses Mal wirst du sterben!“, flüstert er und packt meinen Hals. In diesem Moment wird mir bewusst, dass alles ein Fehler war. Ich hatte es von Anfang an gewusst, nur hatte ich es nicht wahrhaben wollen. Stets hatte ich das ungute Gefühl verdrängt und mir eine schöne Zukunft ausgemalt. Doch war ich nur vor der Realität geflohen und nun werde ich von meiner Vergangenheit eingeholt. Von den Schmerzen und dem Leid, von der Brutalität und der Gewalt. Ich schreie, doch meine Schreie verklingen in der Nacht. Ein Wolf heult in der Ferne, dann folgt die Stille. Angst habe ich keine mehr, denn ich hätte damals schon sterben sollen. Nun bin ich zurück im Kreislauf des Lebens. Es endet heute so, wie es damals schon hätte enden sollen. Dabei wollte ich doch einfach nur glücklich sein! Die Hände meines Geliebten schließen sich immer fester um meinen Hals. Ich röchele und bekomme keine Luft mehr. Meine Augen fangen an zu flimmern und ich sehe zum letzten Mal die damaligen Ereignisse in meinem Geiste ablaufen. Ein letztes Stöhnen, dann wird alles schwarz um mich herum. Und so finde ich meinen Frieden, und das ebenso lang erhoffte Glück letztendlich in meinem eigenen Tod.

Und während ich die Erde hinter mir lasse, steigen auch die anderen Toten aus ihren Gräbern und machen sich auf den Weg, ihre Liebsten zu suchen.

© 2001 by Merci // revised 2023

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